Mehr als nur ein Overall: Die Doppelfunktion des Lackieranzugs
Egal, ob du täglich in der Kabine stehst oder dein erstes Projekt in der Garage umsetzt: Beim Lackieren kreisen die Gedanken meist um die perfekte Einstellung der Pistole, den richtigen Verlauf oder das makellose Finish. Der Lackieranzug? Der wird dabei oft nur als Nebensache behandelt. Ein simpler Überwurf, damit die eigene Kleidung sauber bleibt. Doch diese Sichtweise greift viel zu kurz und unterschätzt, wie sehr dieses Ausrüstungsteil über die Qualität deiner Arbeit und deine Gesundheit entscheidet.
Ein Lackieroverall ist nämlich mehr als nur ein Kleidungsstück. Er ist ein technisches Hilfsmittel mit einer entscheidenden Doppelfunktion: Er schützt dich vor den Materialien, mit denen du arbeitest, und er schützt gleichzeitig dein Lackierergebnis vor dir. Wie dieser technische Spagat funktioniert, welche Materialien, Normen und Anwendungen dahinterstecken und warum der Anzug so entscheidend für deine Gesundheit und die Qualität deiner Arbeit ist, schauen wir uns in diesem Leitfaden genau an.
Das Wichtigste in Kürze
- Entscheidende Doppelfunktion: Ein professioneller Lackieranzug schützt deine Haut vor gefährlichen Isocyanaten und bewahrt gleichzeitig das Lackierergebnis vor Staubeinschlüssen durch deine Kleidung. (Details im Abschnitt „Schutz des Lackierers: Die Barriere gegen unsichtbare Gefahren„)
- Kategorie III ist Pflicht: Verlasse dich für den Gesundheitsschutz nicht auf Standard-Mehrweg-Anzüge der Kategorie I. Nur PSA der Kategorie III bietet eine ausreichende Barriere gegen chemische Risiken. (mehr dazu unter „Die „falsche Dichotomie“: Es geht nicht um Einweg vs. Mehrweg, sondern um Kat. I vs. Kat. III„)
- Antistatische Ausrüstung: Achte auf eingewebte Karbonfäden (Norm EN 1149-5). Sie verhindern statische Aufladung, minimieren Explosionsgefahren und wirken nicht als Staubmagnet für die frische Lackschicht.
- Pflegefehler vermeiden: Wasche Mehrweg-Anzüge niemals mit Weichspüler. Dieser legt einen Film auf die Fasern, isoliert das Karbon-Netz und zerstört somit die antistatische Schutzfunktion. (Details im Abschnitt „Die Praxis: Korrekte Anwendung und Pflege„)
Inhaltsverzeichnis

Schutz des Lackierers: Die Barriere gegen unsichtbare Gefahren
Die offensichtlichste Funktion deines Anzugs ist der Personenschutz. Beim Verarbeiten moderner Lacke, egal ob lösemittelhaltig oder wasserbasiert, arbeitest du mit Chemikalien, die erhebliche Gesundheitsrisiken bergen. Die größte Gefahr geht dabei von Isocyanaten aus, den Härtern, die in 2K-Lacken und Klarlacken enthalten sind.
Die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) stufen Tätigkeiten mit Isocyanaten als mit „hoher Hautgefährdung“ verbunden ein. Dein Schutzanzug bildet für dich beim Lackieren die primäre Barriere, um diesen direkten Hautkontakt zu verhindern. Die Aufnahme über die Haut ist neben dem Einatmen eines der Hauptrisiken. Es geht also um weit mehr als Farbspritzer, es geht um einen effektiven Schutz vor Isocyanaten und deren Wirkung auf deine Haut.
Die Folgen von unzureichendem Schutz können gravierend sein. Selbst geringer, aber wiederholter Hautkontakt kann zu einer Sensibilisierung führen. Das Resultat ist oft eine berufsbedingte Dermatitis, eine schwere Entzündung der Haut. Diese kann sich durch Rötungen, Juckreiz und Schwellungen äußern und im schlimmsten Fall zu chronischen Ekzemen und sogar zur Berufsunfähigkeit führen. Ein Anzug, der als Persönliche Schutzausrüstung (PSA) der Kategorie 3 eingestuft ist, signalisiert hierbei Schutz vor ernsten oder irreversiblen Gesundheitsgefahren, was genau auf diese Risiken zutrifft.
Dein Anzug sollte also zur erste Verteidigungslinie zur Erhaltung deiner Gesundheit beitragen. Aber er erfüllt noch eine zweite, oft unterschätzte Funktion, bei der es nicht um deinen Körper, sondern um das perfekte Finish geht.
Schutz des Lackierergebnisses: Die Eingrenzung der Kontaminationsquelle „Mensch“
Die zweite, oft unterschätzte Funktion deines Anzugs ist der Produktschutz. Eine hochwertige Lackierung ist eine reine Lackierung. Die häufigsten und ärgerlichsten Lackfehler sind Fusseln und Staubeinschlüsse. Analysen von Lackierfehlern zeigen immer wieder, dass Staubeinschlüsse im Lack durch Kleidung eine Hauptursache für diese Defekte sind.
Du selbst bist, biologisch gesehen, eine ständige Kontaminationsquelle. Wir alle geben kontinuierlich Hautpartikel, Körperhaare und vor allem Textilfasern von unserer Kleidung ab. Selbst frisch gewaschene Kleidung setzt Tausende winziger Partikel frei.
Hier funktioniert der Lackieranzug genau umgekehrt: Er dient als Barriere, die dich „einkapselt“. Ein fusselfreier Lackieranzug verhindert, dass Fasern und Partikel von dir oder deiner Kleidung darunter in die sensible Umgebung der Lackierkabine gelangen. Er ist entscheidend, um Staubeinschlüsse zu vermeiden und eine bestmögliche Oberfläche auf der frisch lackierten, klebrigen Oberfläche zu ermöglichen.
Du siehst also, der Anzug muss zwei gegensätzliche Aufgaben gleichzeitig erfüllen. Das führt uns direkt zu einem technischen Dilemma.
Der fundamentale Designkonflikt
Hier offenbart sich der zentrale technische Widerspruch eines Lackieranzugs. Die Anforderungen sind grundlegend gegensätzlich:
- Personenschutz: Der Anzug muss von außen nach innen undurchlässig für chemische Aerosole, Spritzer und Partikel sein.
- Produktschutz: Der Anzug muss von innen nach außen undurchlässig für vom Körper freigesetzte Partikel (Fasern, Hautschuppen) sein.
- Benutzerkomfort: Der Anzug muss von innen nach außen durchlässig für Wasserdampf (Schweiß) und Wärme sein, um einen Hitzestau zu verhindern. Ein Lackieranzug muss also atmungsaktiv sein, damit du konzentriert arbeiten kannst.
Eine einfache Plastikfolie könnte die Punkte 1 und 2 erfüllen, würde aber bei Punkt 3 katastrophal versagen. Du wärst innerhalb von Minuten durchnässt.
Es wird deutlich, dass ein Anzug, der alle drei Anforderungen zu 100% erfüllt, technisch kaum realisierbar ist. Jedes Design auf dem Markt ist ein technischer Kompromiss, der versucht, diese drei widersprüchlichen Anforderungen in Einklang zu bringen.
Wie die Industrie versucht, diesen Konflikt zu lösen, liegt in der Materialwissenschaft begründet.
Die Materialwissenschaft: Woraus besteht ein Lackieranzug?
Die Wahl des Materials ist die direkte Antwort auf den Designkonflikt. Die Materialien lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Einweg-Vliesstoffe (Non-wovens), die den Chemikalienschutz priorisieren, und Mehrweg-Polyestergewebe, die Produktschutz und Komfort optimieren.
Einweg-Materialien: Fokus auf chemische Barrieren
Einweg-Schutzanzüge bestehen typischerweise aus Vliesstoffen. Ihre Fasern sind nicht gewebt, sondern werden aus geschmolzenen Polymeren (meist Polypropylen/PP oder Polyethylen/PE) zu einer Matte verbunden. Die gängigsten Typen sind SMS-Strukturen (Spunbond-Meltblown-Spunbond) oder mikroporöse Folienlaminate (MPFL). Ihr Hauptzweck ist es, eine hohe Barriere gegen chemische Aerosole und Flüssigkeiten zu bilden.
Der Unterschied bei „Atmungsaktivität“: Luftpermeabilität vs. Wasserdampfdiffusion
Beide Materialtypen für Lackieranzüge werden oft als „atmungsaktiv“ beworben, aber die Funktionsweise ist fundamental verschieden. Das Verständnis ist entscheidend für den erwarteten Komfort und beantwortet die Frage, wie ein atmungsaktiver Schutzanzug funktioniert.
- Luftpermeabilität (z. B. bei SMS-Materialien): Das Material ist wie ein sehr feiner Filter aufgebaut. Luft und Wasserdampf können physisch hindurchströmen. Das sorgt für ein sofortiges, „luftiges“ Gefühl, bietet aber eine geringere Barriere gegen feine Aerosole.
- Wasserdampfdiffusion (z. B. bei MPFL-Laminaten): Das Material ist nicht luftdurchlässig (du kannst nicht hindurchpusten). Es besitzt Poren, die zu klein für Flüssigkeitstropfen, aber groß genug für einzelne Wasserdampfmoleküle (Schweiß) sind. Der Schweiß diffundiert als Gas nach außen. Dieser Anzug bietet einen höheren Schutz, kann sich aber einengend anfühlen, da der Feuchtigkeitstransport erst bei Aktivität beginnt.
Mehrweg-Materialien: Fokus auf Partikelkontrolle (Endlosfilamente)
Mehrweg-Lackieranzüge bestehen fast immer aus 100% Polyester. Der Grund ist entscheidend: Sie werden aus „Endlosfilamenten“ gewebt. Im Gegensatz zu Naturfasern wie Baumwolle, die aus kurzen „Stapelfasern“ bestehen und ständig Fusseln abgeben, ist ein Endlosfilament ein einziger, extrem langer Faden.
Ein Gewebe aus diesen Filamenten hat keine kurzen Faserenden, die abbrechen können. Das Material ist daher von sich aus fusselfrei. Ein Lackieranzug der fusselfrei ist, ist die Grundvoraussetzung für den Produktschutz, um Lackdefekte durch Faserabgabe zu verhindern.
Diese beiden Materialwelten führen uns zu einer grundlegenden Entscheidung bei der Auswahl deines Anzugs.
Einweg vs. Mehrweg: Eine grundlegende Entscheidung
Die Frage nach Lackieranzug Einweg oder Mehrweg ist mehr als eine Frage der Vorliebe. Sie definiert den Anwendungszweck, die Kosten und das Schutzniveau.
Analyse von Einweg-Anzügen (Fokus: Chemikalienschutz)
Einweg-Anzüge, die für Lackierarbeiten konzipiert sind, bieten entscheidende Vorteile im Personenschutz.
- Barriere: Der größte Vorteil ist die „fabrikneue“ Barrierefunktion bei jeder einzelnen Anwendung. Die Schutzleistung wird nicht durch Verschleiß oder falsches Waschen beeinträchtigt.
- Hoher Schutz: Sie sind fast immer als Persönliche Schutzausrüstung (PSA) der Kategorie III eingestuft. Dies ist die höchste Kategorie, vorgesehen für den Schutz vor irreversiblen Gesundheitsschäden, was die Risiken durch Isocyanate genau beschreibt.
- Nachteile: Sie erzeugen ein erheblicches Abfallvolumen und können je nach Material (insbesondere nicht-luftdurchlässige Laminate) als weniger komfortabel empfunden werden.
Analyse von Mehrweg-Anzügen (Fokus: Produktschutz & Komfort)
Mehrweg-Anzüge aus Polyester-Filamenten sind die traditionelle Wahl vieler Betriebe und zielen primär auf Produktschutz und Langzeitnutzung ab.
- Nachhaltigkeit & Komfort: Sie sind waschbar, reduzieren den Abfall und werden oft als angenehmer auf der Haut empfunden.
- Produktschutz: Sie sind speziell auf Fusselfreiheit und Silikonfreiheit ausgelegt, um Lackfehler zu verhindern.
- Nachteile: Der kritischste Nachteil ist die Degradation der Schutzleistung. Verschleiß und falsche Pflege können die Partikelabgabe erhöhen und die antistatische Wirkung verringern. Vor allem aber sind die meisten Standard-Mehrweg-Anzüge nur als PSA Kategorie I (Schutz vor minimalen Risiken) zertifiziert.
Genau dieser letzte Punkt deckt jedoch einen gefährlichen Trugschluss auf, der in der Branche weit verbreitet ist.
Die „falsche Dichotomie“: Es geht nicht um Einweg vs. Mehrweg, sondern um Kat. I vs. Kat. III
Hier offenbart sich eine gefährliche Fehlannahme. Die Wahl wird oft als „Einweg“ (billig, Plastik) gegen „Mehrweg“ (teuer, Stoff) dargestellt. Die Normen und Schutzklassen zeichnen jedoch ein völlig anderes, sicherheitsrelevantes Bild.
Der Trugschluss: Produktschutz (Kat. I) ist kein Personenschutz
Der fundamentale Unterschied bei einem Lackieranzug zwischen Kategorie 1 und 3 ist der Schutzzweck.
- Kategorie I schützt vor minimalen Risiken. Ein Standard-Mehrweg-Polyesteranzug (Kat. I) ist primär für den Produktschutz (Fusselfreiheit) konzipiert. Er schützt dich vor Schmutz, aber er schützt dich nicht vor den chemischen Gefahren des Lacksprühnebels.
- Kategorie III schützt vor tödlichen oder irreversiblen Risiken. Was bedeutet PSA Kategorie 3 bei einem Lackieranzug? Es bedeutet, dass er als Schutzanzug für Lackierer konzipiert ist, um deine Gesundheit vor Chemikalien wie Isocyanaten zu schützen (Schutz der Haut).
Ein Lackierer, der einen Standard-Mehrweg-Anzug (Kat. I) trägt, ist also faktisch so gut wie ungeschützt vor chemischen Gefahren.
Die Lösung: High-Tech Mehrweg-Anzüge der Kategorie III
Glücklicherweise wird dieser Konflikt durch eine dritte, oft übersehene Gruppe von High-Tech-Anzügen aufgelöst: Mehrweg-Anzüge der Kategorie III. Dieser PSA Kategorie 3 Anzug ist oft aus speziellen Vliesstoff-Laminaten gefertigt, die sowohl den Chemikalienschutz bieten als auch (begrenzt) waschbar und wiederverwendbar sind. Sie vereinen Personenschutz, Produktschutz und Nachhaltigkeit.
Systemvergleich: Welcher Anzug für welchen Zweck?
Du wählst also nicht zwischen „Einweg“ und „Mehrweg“, sondern basierend auf deiner Risikoanalyse:
- Standard Mehrweg (Kat. I): Reiner Produktschutz. Geeignet für staubige Arbeiten (z.B. Finish), aber nicht für Lackierarbeiten mit Isocyanaten.
- Standard Einweg (Kat. III): Primär Personenschutz. Garantierte Barriere bei jeder Anwendung. Die Standardwahl für sicheres Lackieren.
- High-Tech Mehrweg (Kat. III): Personen- UND Produktschutz. Die Lösung für Betriebe, die Nachhaltigkeit und höchsten Schutz kombinieren wollen.
Unabhängig von Material oder Kategorie gibt es jedoch eine Eigenschaft, die für jeden Lackieranzug in der Kabine absolut unverzichtbar ist.
Das Herzstück des Schutzes: Antistatische Eigenschaften
Unabhängig von Material oder Bauart gibt es eine Eigenschaft, die für jeden Lackieranzug absolut unverzichtbar ist: die Antistatik. Ein Lackieranzug, der antistatisch ist, ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit.
Das doppelte Risiko: Explosionsgefahr und der „Staub-Magnet“
Synthetische Materialien wie Polyester oder Polypropylen laden sich durch Bewegung und Reibung elektrostatisch auf. In einer Lackierkabine führt das zu zwei Risiken:
- Explosionsgefahr (Personenschutz): Eine hohe statische Ladung kann als Funke überspringen. In einer ATEX-Zone, die mit brennbaren Lösemitteldämpfen gesättigt ist, kann ein Funke eine Explosion auslösen.
- Der „Staub-Magnet“ (Produktschutz): Eine aufgeladene Oberfläche wirkt wie ein Magnet auf Partikel in der Luft. Der Anzug zieht Staub an, den du dann auf die frisch lackierte Oberfläche „abwirfst“. Dies ist eine direkte Ursache für Staubeinschlüsse im Lack durch Kleidung.
Die technische Lösung: Das eingewebte Karbon-Netz
Effektive antistatische Eigenschaften werden nicht durch eine Beschichtung erreicht, die sich abwaschen würde. Die Lösung ist strukturell: Spezielle Karbonfäden (leitfähige Kohlenstofffasern) werden direkt in das Material eingewebt und bilden ein sichtbares Gitter. Dieses Netz verhindert den Aufbau einer hohen Ladung, indem es sie kontrolliert ableitet.
Das Bindeglied: Gleichzeitiger Schutz für Mensch und Produkt
Die antistatische Eigenschaft ist das einzige Merkmal, das gleichzeitig und direkt das Schutzziel für den Menschen (Verhinderung von Explosionen) und das Schutzziel für das Produkt (Verhinderung von Staubeinschlüssen) erfüllt.
Aber woher weißt du, ob dein Anzug diese und andere wichtige Eigenschaften wirklich besitzt? Das verraten dir in der Regel die Normen und Kategorien, welche auf dem Etikett oder in der Produktbeschreibung stehen.
Den Code entschlüsseln: Was Normen und Kategorien wirklich bedeuten
Das Etikett deines Lackieranzugs ist kein Marketing bla bla, sondern der rechtlich bindende Nachweis über die Schutzleistung. Das Verständnis dieses „Codes“ ist entscheidend für deine Sicherheit.
PSA-Kategorien (I, II, III): Die Einschätzung des Risikos
Die PSA-Verordnung teilt Schutzausrüstung in drei Kategorien ein, basierend auf der Schwere des Risikos.
- Kategorie I (Kat. I): Für geringfügige Risiken, z. B. Schutz vor Schmutz. Hier fallen die meisten Standard-Mehrweg-Polyesteranzüge hinein.
- Kategorie II (Kat. II): Für mittlere Risiken, die nicht in I oder III fallen.
- Kategorie III (Kat. III): Für tödliche oder irreversible Risiken. Was bedeutet also die PSA Kategorie 3 bei einem Lackieranzug? Es bedeutet, dass er für Gefahren wie Isocyanate zugelassen ist, die zu ernsten, bleibenden Gesundheitsschäden führen können. Der Unterschied zwischen einem Lackieranzug der Kategorie 1 und 3 ist also fundamental: Kat. I ist Produktschutz, Kat. III ist Gesundheitsschutz.
Chemikalienschutz-„Typen“: Typ 5 (Partikeldicht) und Typ 6 (Begrenzt spritzdicht)
Innerhalb der Kategorie III definieren „Typen“, wogegen der Anzug genau schützt. Der Unterschied bei einem Schutzanzug zwischen Typ 5 und Typ 6 ist die Art der Gefahr:
- Typ 5 (EN ISO 13982-1): „Partikeldicht“. Diese Norm zertifiziert, dass der Anzug dich gegen gesundheitsschädliche Feststoffpartikel (z.B. Schleifstaub) schützt.
- Typ 6 (EN ISO 13034): „Begrenzt spritzdicht“. Dies ist die entscheidende Norm für das Lackieren. Sie bescheinigt den Schutz gegen flüssige Aerosole und leichten Sprühnebel (Overspray).
Dein Schutzanzug für Lackierer sollte idealerweise beide Normen (Typ 5/6) erfüllen.
Die Antistatik-Norm: EN 1149-5
Diese Norm ist der Leistungsnachweis für die im vorigen Abschnitt besprochenen antistatischen Eigenschaften. Was bedeutet also die Norm EN 1149-5 für Lackierer? Sie bedeutet, dass der Anzug geprüft wurde und Ladungen kontrolliert ableiten kann. Er ist somit für den Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen (ATEX) geeignet und minimiert zusätzlich das Risiko von Staubeinschlüssen im Lack.
Ein Anzug, der all diese Normen erfüllt, ist technisch auf hohem Niveau. Aber all die Normen bringen nichts, wenn der Anzug schlecht sitzt.
Details, die den Unterschied machen: Ergonomie und Design
Ein Lackieranzug, der die besten Normen erfüllt, ist nutzlos, wenn er nicht korrekt sitzt. Schlechte Ergonomie ist dabei nicht nur ein Komfortproblem, sondern ein fundamentales Sicherheits- und Qualitätsproblem.
Warum ein unbequemer Anzug ein unsicherer Anzug ist
Ein Lackieroverall ist ein geschlossenes System. Schlechte Ergonomie, etwa ein Anzug, der spannt, rutscht oder einschränkt, erzeugt zwangsläufig Lücken während der Bewegung. Durch diese Lücken dringen Chemikalien (wie Isocyanate) ein und Partikel sowie Fasern können austreten, was widerum ein Qualitätsrisiko darstellt. Ein unbequemer Anzug ist daher immer ein unsicherer Anzug.
Analyse der kritischen Design-Punkte (Kapuze, Reißverschluss, Bündchen, Kniepolster)
Ein gute Ergonomie zeigt sich in durchdachten Details, die das System „dicht“ halten:
- Kapuze: Muss eine dichte Schnittstelle mit deiner Atemschutzmaske bilden. Ein einfacher Gummizug ist Standard, eine vollwertig justierbare Kapuze ist überlegen.
- Reißverschluss: Muss immer abgedeckt sein. Diese Abdeckung (oft mit Klebestreifen) verhindert, dass Aerosole durch die Zähne dringen und schützt den Lack außerdem vor Kratzern.
- Bündchen für die Arme & Beine: Ein Gummizug ist das Minimum. Weit überlegen sind Daumenschlaufen, die das Hochrutschen des Ärmels bei Überkopfarbeiten verhindern und die Lücke zum Handschuh schließen.
- Kniepolstertaschen: Lackierer knien oft. Integrierte Taschen erlauben das Einsetzen von Polstern innerhalb des geschlossenen Systems, ohne Schmutz vom Werkstattboden in die Kabine zu tragen.
Ein Anzug, der all diese Kriterien erfüllt, bietet hohen Schutz. Doch dieser Schutz ist nur so gut wie die Art und Weise, wie er an- und ausgezogen wird.
Die Praxis: Korrekte Anwendung und Pflege
Der beste Anzug versagt, wenn er falsch gehandhabt wird. Der Prozess des An- und Ausziehens ist ein integraler Bestandteil deines Schutzkonzepts.
Das sichere Anziehen (Donning)
Beim richtigen anziehen des Lackieranzugs geht es um Vorbereitung, damit das System nicht zu beschädigt oder kontaminiert wird:
- Vorbereitung: Lege Schmuck und Uhren ab. Leere deine Taschen.
- Sitzend beginnen: Setz dich auf einen Stuhl in einem sauberen Bereich, welcher z.B. nicht durch Schleifpartikel verunreinigt ist. Ziehe die Schuhe aus, um den Anzug nicht von innen zu verschmutzen oder zu zerreißen.
- Systematisch: Steige zuerst mit den Beinen ein, ziehe den Anzug bis zur Taille. Dann die Arme. Setze dann deine Atemschutzmaske und Brille auf.
- Schließen: Ziehe die Kapuze über deinen Kopf, schließe den Reißverschluss komplett und versiegele die Abdeckung sorgfältig.
- Handschuhe: Ziehe die Handschuhe zuletzt an und stülpe die Stulpen über die Bündchen des Anzugs, um eine dichte Verbindung zu schaffen.
Das kontaminationsfreie Ausziehen (Doffing)
Das kontaminationsfreie Ausziehen ist ebenfalls ein kritischer Moment, denn das Ziel ist, dass die kontaminierte Außenseite niemals deine Haut oder die saubere Innenseite berührt.
- Vorsichtig öffnen: Öffne die Reißverschlussabdeckung und den Reißverschluss.
- Abrollen: Greife die Kapuze (von außen) und rolle sie nach hinten ab. Beginne, den Anzug an den Schultern zu greifen und ihn nach unten abzurollen, sodass die Außenseite nach innen gekehrt wird.
- Handschuhe: Ziehe die Arme aus den Ärmeln (stülpe sie weiter nach innen). Beim ersten Arm kannst du den Handschuh direkt mit abziehen. Mit der freien, sauberen Hand greifst du unter das Bündchen des zweiten Handschuhs und ziehst diesen aus.
- Sitzend beenden: Setz dich wieder auf den Stuhl. Rolle den Anzug von den Beinen ab, wobei er sich immer weiter nach innen kehrt.
- Entsorgen/Ablegen: Am Ende hältst du ein Bündel, bei dem die kontaminierte Seite komplett innen liegt.
Pflege von Mehrweg-Anzügen
Bei einem Mehrweg–Lackieranzug als ist die korrekte Pflege entscheidend, um die Schutzfunktion so lange wie möglich zu erhalten. Nutze nur Waschmittel ohne Bleichmittel oder Füllstoffe. Eine Chemische Reinigung ist oft möglich, aber am einfachsten ist es, wenn du immer immer die Herstellerangaben auf dem Etikett beachtest.
Die „Weichspüler-Falle“: Wie man seinen Anzug ruiniert
Es gibt ein absolutes Verbot: Wasche deinen Lackieranzug niemals mit Weichspüler! Weichspüler legt einen wachsartigen, isolierenden Film auf die Fasern.
- Er zerstört die Antistatik, indem er die Karbonfäden isoliert. Der Anzug wird zur Explosionsgefahr und zum Staubmagneten.
- Er kontaminiert den Anzug oft mit Silikonen, was zu Lackfehlern führt.
- Er verstopft die Poren des Gewebes und ruiniert die Atmungsaktivität.
Entsorgung von Einweg-Anzügen
Ein kontaminierter Einweg–Lackieranzug ist kein normaler Müll. Er ist Sondermüll und muss gemäß den örtlichen Vorschriften für chemisch kontaminierte Abfälle entsorgt werden!
Nachdem wir nun alle Details betrachtet haben, vom Material bis zur Anwendung, fassen wir die wichtigsten Punkte zusammen.
Zusammenfassung: Der Lackieranzug als integrales System
Wir haben gesehen, dass der Lackieranzug weit mehr als nur ein einfacher Schutz für deine Kleidung ist. Warum solltest du also einen Lackieranzug beim Lackieren tragen? Weil er ein hochtechnisches Werkzeug ist, das eine komplexe Doppelfunktion erfüllt: Er schützt dich als Lackierer vor chemischen Gefahren und die Lackierung vor Kontamination.
Unsere Analyse hat den fundamentalen Unterschied zwischen einem Lackieranzug der Kategorie 1 und 3 gezeigt: Kat. I ist primär Produktschutz, während der PSA Kategorie 3 Anzug dem Gesundheitsschutz dient und die notwendige Barriere für den Schutz vor Isocyanaten auf der Haut bietet. Die Wahl zwischen Einweg oder Mehrweg Lackieranzügen ist daher weniger eine Frage des Materials als eine bewusste Entscheidung für die richtige Schutzkategorie (Kat. III) und die passenden Normen (z.B. Schutzanzug Typ 5 und Typ 6).
Genauso wichtig ist die Antistatik-Norm EN 1149-5, die nicht nur die Explosionsgefahr bannt, sondern auch hilft, Staubeinschlüsse im Lack durch Kleidung zu reduzieren.
Letztlich ist dein Schutzanzug aber nur so gut wie das System, in dem er eingesetzt wird. Dazu gehört die korrekte Auswahl, die Ergonomie, das Wissen um das richtige Anziehen und Ausziehen und die Vermeidung fataler Pflegefehler, wie die „Weichspüler-Falle“. Nur wenn alle diese Teile zusammenwirken, erfüllt der Anzug seine Aufgabe zuverlässig.
Der richtige Lackieranzug ist also ein entscheidender Baustein für deine Sicherheit. Aber zu einer kompletten Schutzausrüstung gehört oft mehr als nur ein passender Lackieranzug. Um dich von Kopf bis Fuß zu schützen, lies direkt weiter in unserem umfassenden Guide: Arbeitsschutz beim Lackieren: PSA-Guide für deine Gesundheit.